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Ein Gastkommentar von Dieter Brockmeyer

Urlauberherzen schlagen höher, weil ab Ende kommenden Jahres die europaweiten Roaming-Gebühren für mobiles Telefonieren und für Datenverbindungen fallen sollen. So wurde es von der Europäischen Kommission beschlossen. Aber nicht, zumindest nicht alleine, um europäischen Touristen den Austausch mit den Daheimgebliebenen zu verbilligen. Vielmehr geht es um eine grundsätzliche Reform des Telekommunikationsmarktes in Europa.

Die gute Nachricht, dass das Telefonieren und Surfen im Urlaub, aber natürlich auch für Geschäftsreisende, bald nicht mehr teurer sein soll als zu Hause, ist freilich nur ein Hinweis auf das, was sich in der EU gerade abzeichnet. Genauso in dieses Bild gehört, dass der Mobilfunkriese Vodafone seine 45-prozentige Beteiligung am amerikanischen Branchenprimus Verizon Wireless an den Partner Verizon zu dem Rekordpreis von 130 Mrd. USD verkauft hat. „Um sich zukünftig auf Europa zu fokussieren“, so die Begründung des Konzerns. Bis zu 40 Mrd. USD sollen sich nun für mögliche Zukäufe zur Verfügung stehen, sagte Vodafone-CEO Vittorio Colao auf einer Analystenkonferenz in New York. Auch die Deutsche Telekom verhandelt, trotz aller Widerstände der Kartellbehörden der USA, weiter mit dem Wettbewerber Spint, der die Anteile an T-Mobile USA übernehmen will. Das würde auch in Bonn zu einer Erhöhung des Einkaufs-Budgets führen. Daher hat der neue Vorstandschef Timotheus Höttges bereits angekündigt, die Telekom zu einem führenden europäischen Anbieter ausbauen zu wollen, im Fokus dabei vor allem Osteuropa. In Tschechien hat man bereits die restlichen Anteile an T-Mobile Czech für 828 Mio. Euro übernommen, so dass das Unternehmen bald zur Gänze aus der deutschen Konzernzentrale gelenkt wird. In Griechenland steht die Telekom zudem gegenwärtig in Verhandlungen über eine Aufstockung der Anteile am ehemals staatlichen TK-Konzern OTE, an dem sie bereits knapp die Hälfte hält.

Doch auch das ist noch nicht das Ende des Puzzles. Auch der TV-Kabelriese Liberty Global, in den USA an der Börse notiert und noch immer von dem Tycoon John Malone beherrscht, hat fast sämtliche Beteiligungen außerhalb Europas verkauft, um sich besonders in Europa zu fokussieren. Die Kaufliste der letzten Jahre ist beachtlich. Zuerst führte man in Deutschland Unity Media und KabelBW zusammen und ist hier nunmehr fast so groß wie der andere deutsche Kabelkonzern KDG. Sodann erwarb man mit Virgin Media eines der größten Kabelnetze in England und erst Anfang dieses Jahres den niederländischen Anbieter Ziggo, der dort, verbunden mit den Stammaktivitäten von Chello, einen flächendeckenden Kabelanbieter bildet. Das freilich blieb Liberty in Deutschland verwehrt. Hier musste man sich im Bieterwettstreit um die KDG Vodafone geschlagen geben, die nunmehr hierzulande ihre Mobilfunkaktivitäten stärker mit dem Festnetz bündeln werden. Zwischenzeitlich wurde über einen ähnlichen Bieterwettstreit zwischen Vodafone und Liberty in Spanien spekuliert. Dort stand der Kabelnetzbetreiber ONO zum Verkauf. Allerdings zeigten sich die Verantwortlichen dort anfangs unbeeindruckt von der Offerte des internationalen Mobilfunkers der immerhin 7 Mrd. Euro geboten haben soll. Stattdessen trieben die Spanier die Vorbereitungen für den Börsengang unbeeindruckt voran. So zumindest hatte es den Anschein, denn inzwischen kam es doch zum Verkauf an Vodafone, jetzt immerhin für 7,2 Mrd. Euro, 200 Millionen mehr als das ursprüngliche Kaufangebot. Allerdings blieb auch die erwartete Bieterschlacht aus.

Das Fazit liegt auf der Hand: Der europäische Telekommunikationsmarkt sortiert sich neu, und das mit einer ungeheuren Dynamik! Dabei konsolidieren nicht mehr nur etwa Mobilfunkanbieter untereinander. Die Neuordnung erstreckt sich auf das klassische Festnetz- sowie den immer mehr an Bedeutung gewinnenden Mobilfunkmarkt gleichermaßen. Einer der Gründe dafür erklärt sich aus der Eingangsbeobachtung. Neelie Kroes, die für Telekommunikation und Digitale Agenda zuständige Kommissarin der Europäischen Kommission, hat ein klares Ziel vor Augen: Einen einheitlichen Telekommunikationsmarkt für Europa. Bislang gab es kaum Ansätze dafür. Unter anderem durch die neuen Roaming-Regeln soll sich das ändern. Ziel ist es, Anreize für Anbieter zu schaffen, so dass diese sich nicht nur auf nationalen Märkten sondern europaweit aufstellen. Dabei ist die Idee nicht neu: In den 1990er Jahren war genau das Teil der Fantasie, die ein wahres Feuerwerk bei den TK-Aktien auslöste. Nach dem Platzen der Börsenblase in Folge von 9/11 besannen sich die Anbieter wieder auf ihr sogenanntes Kerngeschäft – auf den jeweiligen nationalen Märkten. Bereits eingegangene zaghafte Engagements oder Überkreuzbeteiligungen mit anderen nationalen TK-Anbietern wurden wieder rückgängig gemacht. Doch jetzt werden auch dieser Szenarien wieder aktuell: Nicht umsonst spekulierte die Wirtschaftswoche bereits im vergangenen Herbst, dass eine Fusion der beiden nationalen Branchenriesen Deutsche Telekom und France Telecom der einzige Weg sei, wenn sie ihre Position dauerhaft im globalen Wettbewerb erhalten wollten. Das ist umso wichtiger, als auch Übersee Wettbewerber sich die Situation hier in Europa sehr genau ansehen. So soll bereits der amerikanische Branchenprimus AT&T bei mehreren TK-Konzernen angeklopft haben, um sein Interesse an einer Übernahme zu bekunden.

Denn genau betrachtet sehen nicht wenige Branchenexperten aktuell Vodafone in einer deutlich besseren Ausgangsposition. Nicht nur, dass ausreichend Kapital zur Verfügung steht, durch den Zukauf der KDG hat es einen riesigen Schritt hin zu einem breit aufgestellten Telekommunikationsanbieter getan. Für Vodafone ist dieser Schritt gleich aus mehreren Gründen zielführend. Zum einen verlangen die immer größeren Datenmengen immer mehr Bandbreite, die Funkzellen wären bald überlastet, sollte auch die Zuführung über Funk erfolgen. Ein flächendeckendes Glasfaserfestnetz ist hier also sowieso vonnöten. Zum anderen redet man heute schon längst nicht mehr von „Triple Play“, also dem Angebot von TV, Internet und Telefonie auf einem Netz. Das neue Buzz-Wort ist „Quadruble Play“, also dass diese Dienste, unabhängig davon ob über Festnetz oder mobil, auf jedem Endgerät zur Verfügung stehen, egal ob Ultra HD Screen im Wohnzimmer oder Tablet und Smartphone. Auch das ist nun über die Verbindung mit der KDG in einem großen Teil Deutschlands möglich – aber eben nur in einem Teil. In Deutschland bekommt der Schritt hin zur mehr Augenhöhe mit dem Wettbewerber Deutsche Telekom noch eine zusätzliche Bedeutung durch die Konsolidierung des Mobilfunkmarktes, wo die spanische Telefónica gerade dabei ist, ihre deutsche Mobilfunktochter O2 mit dem Konkurrenten E-Plus zusammenzuführen. Das so entstehende Unternehmen wird damit zum neuen Marktführer im Mobilfunk, vor T-Mobile und Vodafone. Allerdings haben hier die Kartellwächter noch das letzte Wort, und (mit Stand Ende Februar) die haben Einwände. Analysten rechnen allerdings mit einer Genehmigung, wenn auch unter Auflagen. Die Entscheidung des Amtes wird voraussichtlich Anfang Juni fallen. Für Vodafone jedenfalls hat die neue strategische Ausrichtung in Deutschland auch für die Positionierung in Europa eine entscheidende Bedeutung, wie das Vorgehen in anderen Teilen des Wirtschaftsraums beweist.

Nicht ohne Grund kamen gleich nach dem Vodafone-Ausstieg aus den USA Spekulationen auf, der Mobilriese wolle seine neue Liquidität dazu nutzen, um Liberty Global aufzukaufen. Obwohl Vodafone das sehr schnell dementierte, halten nicht wenige Beobachter es für wahrscheinlich, dass dieses Thema noch lange nicht endgültig vom Tisch ist. Durch einen solchen Deal könnte Vodafone sich mit einem Schlag nicht nur in Deutschland als Wettbewerber auf Augenhöhe mit der Deutschen Telekom begeben, sondern würde gleich in ganz Europa zu einem Marktführer aufsteigen. Anders als in Deutschland, wo eine Zusammenführung der Kabelnetze immer wieder am Einspruch des Bundeskartellamtes scheiterte und zuletzt Liberty von der KDG Übernahme ausschloss, würde eine Fusion in dieser Dimension auf europäischer Ebene geprüft und genehmigt, da ganz andere Schwerpunkte gesetzt sind. Ist das sich abzeichnende Kräftemessen zwischen Vodafone und Liberty also nur ein Wettstreit für die besten Konditionen bei einer Übernahme oder Fusion? Ausgeschlossen darf diese Annahme auf keinen Fall werden.

Liberty-Chef John Malone jedenfalls ist ein alter Fuchs! Den gesamten deutschen Kabelmarkt hatte er von Anfang an im Blick, allerdings machte ihm zur Jahrtausendwende das Bundeskartellamt einen Strich durch die Rechnung, indem es die Übernahme des kompletten TV-Kabels von der Deutschen Telekom untersagte. Im Nachhinein dürfte er den deutschen Behörden sogar noch gedankt haben. Das deutsche TV-Kabel stellte sich für die nachfolgenden Käufer als viel investitionsaufwendiger heraus als gedacht und viel zu inhomogen in der Netzarchitektur für flächendeckende Triple-Play-Angebote. Entsprechend stagnierten auch die Umsätze, statt wie geplant zu wachsen. Eine Insolvenzwelle war die Folge, und erst die nachkommenden Finanzinvestoren legten die Grundlagen, die es ermöglichten, die Netze zu einem vollwertigen Wettbewerber im deutschen TK Markt aufzubauen. Und siehe da, inzwischen können im TV-Kabel mittels der Breitbandtechnik „Data Over Cable Service Interface Specification“ (DOCSIS), also das Betriebssystem der Kabelmodems, mit über 150 MB/sec deutlich höhere Datengeschwindigkeiten anboten werden als es der Deutschen Telekom über das Telefonnetz und VDSL möglich ist, wo inzwischen bis zu 100 MB/sec angeboten werden können. Im Kabel sind über DOCIS 3.0 technisch bereits im guten alten Koaxkabel bis 400 MB/sec möglich, mit der bald erwarteten Einführung von DOCIS 3.1 sogar bis 1 GB/sec. Die Telekom hingegen setzt auf VDSL Verctoring, um ihre Datengeschwindigkeiten zu erhöhen. Je stärker sich die Netzarchitekturen allerdings über Glasfaser annähern, desto stärker werden sich die Netze in ihrer Performance wieder annähern. Kaum waren die Netze soweit und die Finanzinvestoren planten ihren Exit, schon war Malone zur Stelle und kaufte sich sukzessive wieder in den deutschen Markt zurück, erst Unity Media, wenige Jahre später KabelBW. Lediglich der letzte Schritt blieb ihm verwehrt, nicht zuletzt wieder wegen des Bundeskartellamtes, das seine Perstpektive noch immer nicht an die tatsächlichen Marktgegebenheiten angepasst habe, wie Kritiker immer wieder betonen. Die Behörde sehe immer noch vor allem das TV-Verteilnetz im Wettbewerb untereinander und weniger die großen Wettbewerbspotentiale im TK-Markt generell. Schon die KabelBW-Übernahme wurde nur unter erheblichen Auflagen genehmigt. Trotzdem ist Malones strategische Position ausgezeichnet: Der deutsche Kabelmarkt ist allein schon aufgrund seiner Größe ein europäischer Kernmarkt. Wer hier eine starke Position hat, hat auch im europäischen Wettbewerb die Nase vorn. Zusammen mit den anderen Netzen in Europa hat sich Liberty Global so ganz klar als Zünglein an der Waage positioniert.

Die Deutsche Telekom hingegen erscheint hier im Moment etwas im Nachteil. Zwar sind die Zuwächse bei T-Mobile in den USA enorm, und damit wird das langjährige Sorgenkind dort zum Hoffungsträger und auch mögliche Verkaufserlöse lassen sich damit erhöhen. Allerdings stehen die amerikanischen Wettbewerbshüter einem Verkauf erklärtermaßen skeptisch gegenüber. Sollte Softbank tatsächlich der Telekom ein Angebot unterbreiten, um sodann seinen Anbieter Sprint mit T-Mobile USA zusammenzulegen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass dafür die Genehmigung ausbleibt. Diese Liquidität würde Höttges dann hier in Europa fehlen, um seine ambitionierten Ziele konsequent anzugehen. Der Telekom-Chef jedenfalls scheint sich schon einmal auf den komplizierteren Weg einzustellen. Den Aktionären wurde die Dividende in diesem Jahr von 0,7 Euro pro Aktie auf 0,4 Euro fast halbiert. Weitere Kürzungen erscheinen nicht ausgeschlossen, weil Gewinne zukünftig stärker in Investitionen fließen und die Aktionäre stärker an der Unternehmensexpansion beteiligt werden sollen. Von daher steht wieder einmal als endgültige Fazit: Wie der Telekommunikationsmarkt in Europa am Ende dieser neuen Konsolidierungsrunde aussehen wird, lässt sich aktuell noch nicht mit Gewissheit prognostizieren. Die Spieler sind immer noch dabei, sich in Position zu bringen. Überraschungen sind also jederzeit noch möglich. Nur eines ist sicher: Der Markt ist im Umbruch, und das mit dem Segen der Europäischen Kommission in Brüssel! Einer kann sich freilich jetzt schon darüber freuen – der europäische Verbraucher, für den die Smartphone-Nutzung im Urlaub und auf Geschäftsreisen in Nachbarländer deutlich billiger wird.

 

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